Le Chemin de la moindre Résistance

Tag 14: Das trunkene Schiff

Hinab glitt ich die Flüsse, von träger Flut getragen,
da fühlte ich: es zogen die Treidler mich nicht mehr.
Sie waren, von Indianern ans Marterholz geschlagen,
ein Ziel an buntem Pfahle, Gejohle um sich her.

  Ich scherte mich den Teufel um Männer und um Frachten;
wars flämisch Korn, wars Wolle, mir war es einerlei.
Vorbei war der Spektakel, den sie am Ufer machten,
hinunter gings die Flüsse, wohin, das stand mir frei.

  Derweil die Tide tobte und klatschte an den Dämmen,
flog ich, und es war Winter, wie Kinderhirne stumpf, dahin.
Und wär es möglich, daß jemals Inseln schwämmen,
kein solcher Gischt umbraust’ sie, kein ähnlicher Triumph.

  Ein leichter Korken, tanzt ich dahin auf steiler Welle:
die erste Meerfahrt haben die Stürme benedeit.
Von solcher Welle heißt es, sie töte und sie fälle –
Die albernen Laternen der Häfen blieben weit!

So süß kann Kindermündern kein grüner Apfel schmecken,
wie mir das Wasser schmeckte, das grün durchs Holz mir drang.
Rein wuschs mich vom Gespeie und von den Blauweinflecken,
fort schleudert es das Steuer, der Draggen barst und sank.

  Des Meers Gedicht! Jetzt konnt ich mich frei darin ergehen,
Grünhimmel trank ich, Sterne, taucht ein in milchigen Strahl
und konnt die Wasserleichen zur Tiefe gehen sehen:
ein Treibgut, das versonnen und selig war und fahl.

  Die Rhythmen und Delirien, das Blau im rauchigen Schleier,
verfärbt sind sie im Nu hier, versengt sind sie, verzehrt:
so brannte noch kein Branntwein, kein Lied und keine Leier,
wie hier das bittre Rostrot der Liebe brennt und gärt!

  Ich weiß, wie Himmel bersten, ich kenn die Dämmerungen,
die Strömung und die Dünung, die Woge, die sich bäumt,
die Früh – verzückt wie Tauben, die sich emporgeschwungen,
und manchmal sah mein Auge, was Menschenauge träumt.

  Ich sah die Sonne hängen – mystisch geflecktes Grauen,
und violett, geronnen, Leuchtstreifen, endlos weit,
und sah die Fluten schaufeln und groß die Bühne bauen,
ein Schauspiel sah ich spielen, das alt war wie die Zeit!

Im Traum sah ich die Schneenacht, die grüne, sich erheben:
ein Kuß stieg zu den Augen der Meeres-Au empor.
Ein Kreisen wars von Säften, ein unerhörtes Weben,
und blau und gelb erwachte der singende Phosphor!

  Ich folgt und folgt der Horde von wildgewordnen Kühen:
der See, die Klippen stürmte, folgt ich auf ihrem Ritt.
Vergessen wart ihr, Füße der leuchtenden Marien:
hier keuchten Meeresmäuler – sie schloß kein Heiligentritt!

  Wißt ihr, ich lief auf Land auf, wie ihrs nicht schaut im Traume:
Des Menschenpanthers Augen – den Blumen beigesellt!
Ich sah im weitgespannten, im Regenbogenzaume
flutgrün die Herden ziehen am Grund der Meereswelt.

  Ich sah, wie’s in den Sümpfen, den Riesenreusen, gärte,
darin den Leviathan, verwesend zwischen Tang.
Und Wasserstürze sah ich, wo sich die Stille mehrte,
und schaute, wie die Ferne zur Tiefe niedersank!

  Sah Gletscher, Silbersonnen, Gluthimmel, Perlmuttfluten,
den braunen Golf, wo greulich ein Wrack beim andern steht,
und sah die Riesenschlange, ein Fraß der Wanzenbruten,
vom Krüppelbaume fallen, von schwarzem Duft umweht!

Wo seid ihr, Kinderaugen, zu schaun die Herrlichkeiten?
Das Schuppengold der Welle, den Goldfisch, der da singt!
– Dies schaumumblühte Driften, dies Zwischen-Blumen-Gleiten!
Der Wind, der Wind unsäglich, der meine Fahrt beschwingt!

  Und litt ich Pein, der Pole und Wendekreise müde,
so schluchzt’ es in den Wassern, ich schlingerte dahin,
mit gelbem Saugnapf tauchte empor die Schattenblüte –
ein Weib, so blieb ich liegen, ein Weib auf Weibesknien.

  Gewölle und Gezänke hab ich an Bord genommen,
ich war das Vogel-Eiland – blond äugte, was da flog.
Ich trieb mit loser Spante, ich schwamm und ward durchschwommen:
ein Leichnam um den andern, der rücklings schlafwärts zog.

  Und ich – verstrickt, verloren im Haar geheimer Buchten,
hinauf ins Vogellose geworfen vom Orkan:
sie fahren nicht, die Klipper, die Koggen, die mich suchten,
des wassertrunknen Rumpfes nimmt sich kein Schlepptau an.

  Frei war ich und ich rauchte, von Nebelblau bestiegen,
ich stieß durch Feuerhimmel, ich stieß sie alle ein,
und was den Dichtern mundet, das fühlt ich auf mir liegen:
es waren Sonnenflechten, es war azurner Schleim.

Ich – mondgefleckt, elektrisch: die tollgewordne Planke!
Seepferdchen kam in Scharen und war mein schwarzer Troß.
Ihr Himmel blau und tiefblau, ich sah euch alle wanken,
ich sah, wie euch der Juli durch Glutentrichter goß!

  Der Behemoth, der Mahlstrom durchstöhnte jene Breiten,
ich spürte beider Brunstlaut – ein Schauder ging durch mich,
ich schwamm und schwamm durch blaue, durch Regungslosigkeiten –
Europa, deine Wehren, die alten misse ich!

  Und ich sah Inselsterne, sah Archipele ragen,
darüber Fieberhimmel – das Tor der Wanderschaft!
– Hats dich dorthin, ins Nächtige und Nächtigste verschlagen,
du goldnes Vogeltausend, du künftige, du Kraft?

  Doch wahr, genug des Weinens! Der Morgen muß enttäuschen.
Ob Nacht-, ob Taggestirne, keins, das nicht bitter wär:
ich schwoll von herber Liebe, erstarrt in Liebesräuschen –
O du mein Kiel, zersplittre! Und über mir sei, Meer!
  Und gäb es in Europa ein Wasser, das mich lockte,
so wärs ein schwarzer Tümpel, kalt, in der Dämmernis,
an dem dann eins der Kinder, voll Traurigkeiten, hockte
und Boote, falterschwache, und Schiffchen segeln ließ’.

  Wen du umschmiegt hast, Woge, um den ist es geschehen,
der zieht nicht hinter Frachtern und Baumwollträgern her!
Nie komm ich da vorüber, wo sich die Fahnen blähen,
und wo die Brücken glotzen, da schwimm ich nimmermehr!

Arthur Rimbaud (Übersetzt von Paul Celan)