Le Chemin de la moindre Résistance

Tag 2, Im Flow

Morgens nach dem Aufbruch in Kall laufen wir aus vollem Bauch in die offenen Arme der Zeugen Jahwes. Die beiden männlichen Vertreter dieses Kirche lachen lauthals auf als sie, den Kopf halb geneigt, den Schriftzug auf dem Schild dechiffrieren. Als ich die Straßenseite wechsle, um zu Ihnen herüber zu kommen, verstummt das Lachen ob des drohenden Kirchenstreits. Ich wünsche einen besonders guten Morgen, als sie erwidern, das sei ein angemessener Weg, den ich da angehen würde. Ich frage sie, ob ihr Weg ein weniger mühevoller sei. Sie geben zurück, dass die Zeiten schwierig seien, um Menschen vom richtigen Glauben zu überzeugen, insofern habe ihre Haltung, hier dennoch zu stehen, oder äh, zu sitzen (einer der beiden sitzt im Rollstuhl), etwas Trotziges. Genau wie meinem Postulat womöglich etwas Widerständiges anhafte. Ich meine, es handele sich nur um ein Angebot des Innehaltens mit der Option der tiefen Einkehr in sich selbst. Wie tief, das bestimme selbstverständlich jeder selbst. Das können wir auch von uns behaupten, gibt der ältere Herr im Rollstuhl zurück uns wünscht schon weiter einen guten Weg des geringsten Widerstandes.Viertelstunde des fröhlichen Plauderns über Gott und die Welt, behauptet der an den Rollstuhl Gefesselte, er würde ja gern mitgehen, könne aber leider nicht mehr, sei aber früher als junger Mann noch in Köln übers Rheinwasser gegangen. Angemessen irritiert frage ich zurück, ob er Möglichkeiten des über das Berg und Tal der Eifel und am besten gleich noch über die Untiefen-und-Anhöhen-der-Ardennen-hinweg-schwebens sehe? Angemessen irritiert behauptet er: „Nein“. Wir verabschieden uns brüderlich amüsiert über die unverhoffte und erfreuliche Begegnung und laufen weiter in Richtung Schleiden als Klaus anruft:



Klaus: „Ja, hier ist Klaus, wo seid Ihr?“
Ich: „in Kall. Wir gehen hier grad los.“
Klaus: „Wann seid Ihr ungefähr in Schleiden?“
Ich (aufs Handy schauend): Um 12.32 Uhr. Wieso?“
Klaus: „ja gut. Ich komme dahin mit Kaffee. Bis gleich dann“.
Ich: „Mensch Klaus, das ist ja n Ding. Wir freuen uns jetzt schon. Frauke, wir bekommen nachher Kaffee von Klaus in Schleiden.“
Frauke (von der anderen Straßenseite rufend): „Ich versteh nix, hier ist es zu laut.“
Ich: „Egal. Äh, Klaus. Super, wir beeilen uns, vermutlich sind wir etwas später, weil wir immer länger brauchen mit dem schweren Schild.“
Klaus: „Ja, das ist doch klar. Aber ich warte da. Ich will Euch helfen, ich laufe auch dann mit. Vielleicht bringe ich auch noch jemanden mit, der will Euch auch begleiten. Er wusste nur noch nicht, ob er dafür heute Zeit hat. Aber ich rufe den jetzt gleich an. Bis nachher (Legt auf).“


Um 13.22 Uhr erreichen wir, die Olef entlang laufend, das Schleidener Zentrum, nachdem wir angemessen argwöhnische Blicke der Menschen, die die das Olefufer säumenden Häuser bewohnen, ernten. Selbstverständlich haben wir inwendiges Verständnis für die Menschen, die hier in der Flut extreme Situation mit Angstzuständen und Verlusten zu verarbeiten haben. Dennoch bleibt es beim schweigenden Vorbeimarsch im Klima der Verständnislosigkeit für solcherlei zur Schau getragener Fragestellungen, geboren im kapriziösen Luxus weniger dramatischer Lebensumstände. Niemand der aus den Fenstern Schauenden sagt ein Wort. Wir laufen in der Fußgängerzone Klaus in die Arme, der Kaffee und kleine Küchlein auf der Treppe des ersten Hotels der Stadt serviert. Wir freuen uns über die wohlverdiente Pause nach dem schwierigen Marsch durch die Eifel mit dem Eintauchen in die Erinnerungswelt einiger Menschen in dieser Schicksalsschlag geprägten Stadt. Klaus begleitet uns einige Stunden in Richtung Hellenthal und eröffnet uns seine Interpretation des Wegs des geringsten Widerstandes. Er verbinde damit einen Zustand des „Im Flow-Seins“, in dem man die Energien nur für sich zu nutzen im Stande sein müsse, dann laufe alles wie von selbst. Das sei doch bestimmt damit gemeint, oder? - Ich strahle über beide Backen bei seiner mich erhellenden Version und freue mich über seine Unterstützung, die das Schild leichter werden lässt, die Füsse laufen plötzlich wie von selbst und die Gedanken wandern in fröhlichere Gefilde als die der Menschen am Olefufer, in die wir kurz eintauchen dürfen. Dafür gebe es selbstverständlich Verständnis, und es gebe sogar Dankbarkeit, auch wenn es schwer falle, kommentiert Klaus die geschilderten Erfahrungen. Als LaMara und Manni Klein anrufen, wird es langsam unübersichtlich mit den Interessenten für die Begleitung auf der einen oder anderen Wanderetappe. Dennoch freue ich mich über das Interesse von vielen Menschen, obwohl ich kaum jemanden von meinem Vorhaben erzählt habe. Allesamt ermahnen sie mich, doch bitte eher Bescheid zu geben…